Weyse, Christoph Ernst Friedrich BREV TIL: Heiberg, Johan Ludvig FRA: Weyse, Christoph Ernst Friedrich (1812-10-11)

Copenhagend. 11. Octbr. 1812.

Post nubila Phoebus! Nach einer schlaflosen Nacht, und 6 1/2 in der Frühpredigt, Communion und Confirmation verlebten mühseligen Stunden, ergreife ich zur Erholung die jugendliche Schreibfeder (sie ist erst gestern geschnitten), um mit ihr ein wenig zu lustwandeln, in der schmeichelhaften Hofnung es werde unter ihren leichten zefyrlichen Tritten, wenn auch nicht eben köstliche Rosen und Nelken, doch mancherley artige Haideblümchen entspriessen ; und diese (bedanke dich mi fili) sollen keinem sterblichen Menschen zu Theil werden, als dir. Wenn du dir übrigens einbildest, ich stünde hier mit bleichen eingefallnen Wangen, und hohlen, erloschnen Augen, wie ein Todtenbild, so irrst du gewaltig; fix und flink stehe ich da, wie ein Bräutigam und lache der überstand enen sauren Arbeit. „Das ist unglaublich! das kann nicht mit rechten Dingen zugehen!“ O mein feiner Herr, willst Du den Zweifler spielen, so lasse ich hier sogleich ein Duzend Krieger 2) aufmarschiren, und beweise dir auf das bündigste, du habest durchaus Unrecht. Wie die Thaten, so der Lohn. So höre denn. Kannst Du es läugnen, ich sey der s. 26wahre Weise, und als solcher ein Inbegriff aller irdischen Realität? und ist es dir, ohne den Satz des Widerspruches gar über den Haufen zu stossen, dann wohl möglich, einem so erhabnen Wesen das Prädicat des höchsten Fleisses zu versagen? das war eins. — Doch wir wollen annehmen, du habest Recht, mich für faul zu halten, so ist meine heutige Thätigkeit durch die vorhergegangene saure Arbeit vortreflich erklärt. Ist dir das zu hoch? Tant mieux, du kannst dir nun den Kopf darüber zerbrechen, ich explicire mich nicht deutlicher, und du magst dieses mal noch so gnädig mit 2 Kriegern davon kommen, obgleich, du mit deinem Zweifeln reichlich ein Duzend verdient hättest. Ich will mich auch dadurch nicht abhalten lassen, das einmal angefangene fortzusetzen;, und heut Abend in dem Ekhause der Blanco- und Amaliegade wie bisher so viel möglich deine Stelle zu vertreten. Du sollst nämlich wissen, dass ich zum Tröste deiner Mutter, welche so oft sie mich sieht, mit mir in die Wette nach ihrem Ludwig seufzt, alle deine vices (neutr. vitia) soviel es sich thun lässt übernommen habe. So, zum Beispiel, stehe ich immer vom Tische auf, wenn nach Antoni geklingelt werden soll; die Butterbrödte für deine Mutter schmiere ich zwar nicht selbst, widersetze mich aber doch auch nicht, wenn andere sie schmieren; wird draussen geklingelt, so gehe ich geduldig hin und öfne die Thüre, und heisse alle, ja selbst den Leutnant Dahlmann mit freundlichem Gesichte willkommen. Bey dieser Gelegenheit halte ich sehr darauf, dass Niemand seinen Überrock auf den Sopha oder gar auf die Bücher wirft, aber vor allen Dingen darf keiner ausser mir den aufgespannten Regenschirm in die Stube hinstellen. Damit auch das medicinische Studium 1) durch deine Abwesenheit nicht leide, so stehe ich täglich ein paar Stunden am Pulte und studire — Göthe und Schiller. (Ph! das war sehr bitter!) Wenn ich des Abends beym Thee auch nicht immer viel rede, so zeige ich doch durch fleissige Bewegung des Mundes, dass ich Geschmack habe, und mich auf das Unterhalten verstehe; jeden Sonnabend wird der ewige Kalender umgedreht u. s. w., kurz ich bestrebe mich, deiner s. 27Mutter zum Troste und mir zur Freude, täglich mehr und mehr Ludwig zu werden. Vielleicht bestrebst du dich in freundlich dankbarer Vergeltung wieder zu werden, was ich bin — weise? Was machst du denn jetzt, mein guter Junge? ich sehne mich recht nach einem Paar Zeilen von dir. Wenn ich aus Bescheidenheit sage: ein paar Zeilen, so meine ich damit eine ausführliche Relation über alles, was dir begegnet ist, und welchen drohenden Gefahren du glücklich entgangen bist; doch ich hoffe, es drohen dir keine Gefahren. Gyllembourg zwar ist sehr bange, du möchtest im Schlafe vom Wagen herunterfallen, aber ich denke, das habe nichts zu bedeuten. Wenn ich des Abends zu Eurer Pforte eingehe, so ist mir immer noch als müsstest du in deinem Zimmer seyn, und ich wundre mich wohl gar, kein Licht da zu sehen. Als du noch da warst, ging ich meistens sehr gleichgültig durch dein Zimmer, und sprach nur selten mit dir ein paar Worte. Jetzt ist mirs, als hätte ich dir 100 und 1000 Dinge zu sagen, und könnte mich Tagelang mit dir unterreden. Aber so ist der Mensch, er lebt meistens nur der Vergangenheit und Zukunft, und ist gleichgültig der Gegenwart. Doch gilt dieses wohl vorzüglich von Menschen, bey denen, so wie bey mir, die Phantasie prädominirt. Ich wollte, ich hätte etwas weniger Phantasie, und etwas mehr — Philisterverstand, vielleicht wäre ich dann glücklicher. So viel ist wenigstens gewiss, das ewige Schwärmen der Phantasie in idealischen Welten macht gegen das wirkliche Leben todt, gleichgültig und ungerecht. Und dass ich dieses bin, fühle ich nur zu oft. Aber dem Uebel ist nun einmal nicht abzuhelfen, meine Natur kann ich nicht umkehren. Doch das Leben erscheine mir so todt es wolle, die Sehnsucht zu lieben und geliebt zu werden ist, ungeachtet alles dessen was ich mir oft dagegen sage in meinem Busen noch nicht erloschen, das fühle ich in diesem Augenblicke lebendig. Und so bitte ich dich, erhalte mir ferner deine Liebe, und sey überzeugt, dass auch ich nie aufhören werde dich zu lieben.

Dein
G. F. Weyse.

PS. Grüsse Gustava Paikul.