Weyse, Christoph Ernst Friedrich BREV TIL: Heiberg, Johan Ludvig FRA: Weyse, Christoph Ernst Friedrich (1812-11-06)

Copenhagend. 6. Novbr. 1812.

Mein lieber Ludewig!

Ich bin heute früher als gewöhnlich aufgestanden (es ist kaum 7 Uhr) um es doch ja nicht zu versäumen, dir recht innig für deinen lieben, herzlichen Brief zu danken, womit Du auf die erfreulichste Weise mich überrascht hast. In der That s. 75überrascht: denn (Du magst es mir verzeihen) einer solchen Wärme habe ich Dein Herz nicht fähig gehalten. Solche herzliche Worte erquicken die ermattete Seele, wie ein warmer Regen das dürre Land, und schnell entsprieszt dem verbrannten Boden das schönste Grün. Hat Dein Aufenthalt in Schweden so Dein Herz erwärmt, so sey er mir gesegnet, wenn er auch (wie ich jezt fast vermuthe) länger dauren sollte, als wir bisher geglaubt haben. Bist Du aber, wie Deine Mutter behauptet, von jeher im Grunde des Herzens so warm und gefühlvoll gewesen und hast nur aus einer sonderbaren Art von Zurückhaltung nicht viel davon geäussert : o so lege sie ab diese Zurückhaltung, verbirg eine so schöne Flamme nicht unter dem Scheffel, sondern lasz sie Deinen Freunden zur Freude hell leuchten und wärmen. Die Flamme der Liebe ist es ja, welche einzig dieses Thal der Nacht und des Todes erhellt und uns die Aussicht in ein andres schöneres Land eröfnet, wo sie ewig in herrlicherem Glanze strahlt. Sie ist es welche beide Welten verbindet; in ihr entfaltet, als in ihrem Elemente, Psyche freudig die Schwingen und denkt mit Entzüken der schöneren Heimat. Ohne sie stehen die Menschen kalt und todt neben einander, wie die Marmorbilder im Saale des Künstlers; keines weisz von dem andern, keines kümmert sich um das andre. Wer mit einem Herzen voll Sehnsucht unter diesen Gestalten umherwandelt und ihnen verlangend die Arme entgegenstrekt, o der trift, wohin er sich wendet, nur auf den kalten harten Stein, ohne Hof-nung das Wunder des Pygmalion erneuert zu sehen. Dies ist mit mir bis jezt so ziemlich der Fall gewesen, und ich bin darüber fast selber zum Steine geworden. Heute, dies sey Dir zum Troste gesagt, ist der Stein indessen ziemlich weich und warm und nur heitern Eindrüken empfänglich In solchen Augenbliken bin ich sehr geneigt, mich selbst der Undankbarkeit gegen das Schiksal und gegen die wenigen Menschen anzuklagen, welche unter den ungleichartigsten Umständen sich beständig als meine wahren Freunde gezeigt haben. Unter diesen steht Deine Mutter oben an, und ihre Freundschaft gegen mich, und die Geduld und Gutmütigkeit, womit sie oft den Ausbrüchen meiner üblen Laune begegnet, kann ich ihr in der That nie vergelten. Ich bin ihr aber auch in s. 76Warheit von ganzem Herzen ergeben, und wenn ich üble Laune gegen sie äussere, so geschieht es in der That nicht aus bösem Herzen, sondern aus Kränklichkeit. Schlim genug, dasz der Herr von dem Diener, der Geist von dem Körper sich so oft schmälich musz beherrschen lassen. Gestern hat Guldbrand nach einer langen Unterredung mit ihm über meine mannigfaltigen Krankheitssymptome mir den leidigen Trost gegeben : ich sey histerisch und mir Gastartropfen verschrieben. Men Herre Gud, sagte ich, als ich das Recept ansah, jeg har jo ikke Modersyge! — Du har Fadersyge, sagte er ganz gelassen, und ich verstummte vor Erstaunen diesen von mir erfundnen Kriegs aus seinem Munde zu hören. Darauf zog er aus seinem Repositorio ein Buch hervor: über die Krankheiten der Gelehrten, welches er mir zum Durchlesen empfahl. Kaum hatte ich indessen ihm einen, das Epitheton des Gelehrten bescheiden ablehnenden, und für das Buch meine Dankbarkeit bezeigenden Bükling dargebracht, so nahm er das unter dem Vorwande mir wieder weg, er halte es doch für das beste, dass ich das Buch nicht läse; er wolle es statt meiner thun und mich von dem Erfolg des nähern unterrichten. Aus natürlicher Antipathie wider das mir verordnete Mittel, habe ich das Rezept bis jezt noch nicht machen lassen. Ich befinde mich aber auch seit der Unterredung mit G. (vielleicht aus Furcht vor den Tropfen) vollkommen wohl und habe diese Nacht geschlafen wie ein Raz. Vor einigen Nächten träumte mir einmal wieder, zum erstenmale seit langer Zeit, ich flöge. Es ist eine der seeligsten Empfindungen die ich kenne. In horizontaler Richtung mit dem Gesichte aufwärts schwebe ich dann leicht wie eine Feder, ungefähr 3 Ellen hoch über den Boden dahin, wobei ich mir oft wiederhohle: diesesmahl träumst Du nicht, sondern fliegst wirklich. So flog ich ziemlich lange in einem groszen Garten umher, und als ich endlich, um über einen groszen Misthaufen wegzufliegen, mich mit einiger Anstrengung etwas höher als bisher erhob, sagte ein nicht weit davon stehender Gartenarbeiter verwundert zu seinem Kameraden: nei see til den Spillemand, hvad han kan flyve! Darüber kam ich ins Lachen und erwachte, hing aber noch lange dem angenehmen Eindruke nach, den das Gefühl des Fliegens auf mich gemacht s. 77hatte und wünschte einmal so der Welt entschweben zu können. Siehe, mein Freund, so sorgt der gütige Morpheus bisweilen für meine Unterhaltung; im Wachen muss ich selber dafür sorgen und da wandele ich denn oft mit der zärtlichen Langenweile Hand in Hand. Wenn die Bücher mir zuwider sind, die Musik mir verhaszt ist und ich die Menschen nicht ausstehn kann : was soll ich dann thun ? „Du sollst Dach Casorti gehn.“ Sehr wohl mein Freund! Da bin ich vorigen Sonntag gewesen, habe recht von Herzen gelacht und mich doch nur sehr wenig amüsirt. Der Verabredung gemäsz, begab ich mich nemlich nach geendigtem Gottesdienst zu Carl Hyllested und nach glüklich eingenommenem Kaffe marschirten wir den weiten Weg zum Thore hinaus. Aber das war eine Pferdetour! Es fiel ein feiner Staubregen, der uns ziemlich durchnässte, weil wir aus Schamhaftigkeit nicht die einzigen seyn mochten, die mit aufgespanntem Parapluy einhergingen. Der Weg war so schlüpfrig, dass wir bei jedem Schritte vorwärts immer einen halben Schritt wieder zurückglitten. Uns begegneten unzählige Menschen in dunkelblau und schwarz gekleidet mit gelbkragichten Stiefeln, o horreur! Gleich den Verdammten gingen wir in einem ewigen Dampfe von abscheulichem Tabak; dazu kam noch ein unerträglicher Fleischgeruch, von den vielen geöfneten und mit Fleisch reichlich behangenen Thorwegen. Eine grosze Heerde Ochsen drohte uns über den Haufen zu stoszen, stinkende Schweine umgrunzten uns, die Hunde bellten und bissen sich, ein Junge mit einem Kalbe auf dem Naken hätte mich auf ein Haar umgerannt: kurz es war ein verdrieszlicher Weg. Ermüdet und ermattet kamen wir endlich an, und nach einem artigen Gedränge bekamen wir mit genauer Noth Pläze auf der hintersten Bank. Hier mussten wir ziemlich lange harren ehe der Vorhang sich hob und hatten Zeit genug allerley Betrachtungen darüber anzustellen was wohl unser Schiksal seyn würde, wenn das Seil reiszen und der durch dasselbe stark angespannte Balken mit Gewalt zurückspringen sollte. Es ging indessen alles glüklig ab, das Personale vollbrachte alles mit der gewohnten Geschiklichkeit und wurde gewaltig applaudirt. Mir machten alle diese schon oft gesehenen Künste nur sehr wenig Vergnügen und ich wünschte s. 78von Herzen das ganze Wesen lieber im Wilhelm Meister zu lesen als hier mit anzusehn. Ich wäre auch gewiss davon gegangen hätte Casorti mit seinem wahrhaft komischen Talent mich nicht festgehalten. Die Pantomime war Arlequin chef des batteurs en grange protegé par l’amour en triomphe. Ich erzähle Dir nichts von dem Inhalte, um dich nicht des Vergnügens der Überraschung zu berauben, wenn Du sie einmal selbst sehen solltest. Nach 9 kamen wir zu Hause, assen Gänsebraten und Æblegrød, und ich büszte Tags darauf diese Lust wie gewöhnlich mit schrecklicher Migraine, welche ich wie gewöhnlich durch Digestivpulver und Kampher vertrieb, ohne welche ich es so gern einmal erleben möchte mich zu nennen

Dein
fortwährend vollkommen gesunder und heiterer Freund
C. E. F. Weyse.

N. S. Fahre nur fort mir deutsch zu schreiben: ich weisz nichts mehr von Grammatik.

Brevdue *).