Weyse, Christoph Ernst Friedrich BREV TIL: Heiberg, Johan Ludvig FRA: Weyse, Christoph Ernst Friedrich (1812-11-20)

Copenhagen20. November 1812.

Ich befinde mich heute in einer nichts weniger als heitern Stimmung, und es würde mir schwerlich einfallen, Dir zu schreiben, wenn ich es nicht für meine Pflicht hielte, nach besten Kräften Dich zu warnen, dass Du doch ja nicht etwa Dich von dem Teufel blenden lassest auf die Vorschläge Taubes einzugehen, und Deine Rückreise bis künftiges Jahr zu verschieben. Du wirst Dich erinnern dass Du Deiner Mutter Dein Wort gegeben hast, zu Weinachten hier Dich wieder einzufinden. Von diesem Worte kann Dich nichts entbinden als nur sie selbst; aber wehe Dir! wenn es Dir einfallen sollte, sie darum zu bitten; nach ihrer gewöhnlichen Güte und Liebe für Dich, würde sie Deinem Wunsche zwar willfahren; aber ich bin überzeugt, es würde ihr das Herz brechen. Schon die gestrigen Briefe, und der blosse Gedanke an die Möglichkeit der Verzögerung Deiner Rückkehr, versezten sie in einen fieberhaften Zustand. Und das war wohl sehr natürlich. Wachend und im Traume beschäftigt sie sich mit Dir, ängstet sich oft, es möge Dich Krankheit oder ein andres Uebel treffen, und zählt die Tage bis zu Deiner Zurückkunft, oft sich beklagend, dass es doch noch mehrern lange Wochen währt, ehe sie Dich an das mütterliche Herz drüken kann, wenn Du auch selbst zu Deinem Geburtstage kämest. Und so hoft sie denn von einem Posttag zum andern, s. 99es werde in Deinen Briefen von dieser so sehnlich erwarteten Rückkehr doch endlich einmal die Rede seyn. Vergebens! So sass sie denn auch gestern und harrte, und als wir erfuhren die Post sey gekommen ging ich mit Gyll. auf das Posthaus, damit Deine Mutter, da Gyll. noch allerley Geschäfte in der Stadt hatte, doch die Briefe ein Paar Stunden früher bekäme. Und was bekamen wir? von Dir einen kleinen Zettel, worauf nichts stand als: Du habest nicht Zeit zu schreiben; dagegen 2 Briefe von Taube und seiner Frau, worin sie Deiner Mutter ganz troken sagen: sie möge nun suchen, so gut es gehn wolle sich darin zu schiken, vor Januar werdest Du nicht zurükkommen. Der Graf gelobte alle mögliche juristische Kniffe anzuwenden, um Dich zurük-zuhalten; die Gräfin hofte, Du werdest in Weinachten Dich wohl in Schweden eben so gut amüsiren, als hier in Copenhagen. In der That! ein Paar delikate, dankbare, wahrhaft freundschaftliche Briefe! nur Schade! Die Freundschaft ist etwas in der Art jenes Bären, der seinen Herren todtschlug, um ihn vor den Fliegen zu sichern. So wie Deine Mutter diese Briefe las, wurde sie im Gesichte ganz heiss, dabey waren die Hände, die ich von ohngefähr anrührte, eiskalt; in diesem Zustande blieb sie den ganzen Abend. Du kennst ihr reizbares Nervensystem; wird sie in dieser Hofnung auf Deine Rükkehr, welche sie als einen Beweiss Deiner Liebe für sie um so sicherer erwartet, da es Dir bekannt ist, dass sie ohne Dich keine wahrhafte Freude gemessen kann, getäuscht, so stehe ich in Absicht auf ihre Gesundheit nicht für den Erfolg. Sie wiederholte gestern Abend einmal über das andere in der grössten Gemüthsbewegung: nei! kommer han ikke til Juul, maae jeg opleve det, at see, at han foretrækker andre for mig, saa vil jeg ingen Juul have, saa vil jeg aldrig have Juul meere, thi Erindringen om dette Beviis paa hans Mangel af Kjerlighed til mig vilde dog for evig forbittre mig hver Glæde; jeg kunde aldrig forvinde, aldrig glemme det. Und doch sagte sie mir heute, sie sey willens, einen Brief, den sie gestern in der Betrübniss ihres Herzens an Dich geschrieben, Dir nicht zuschiken, thi det var dog Synd at tvinge ham til at komme tilbage, naar han heller blev der, sagte sie; formodentlig er han nu hos Paykull og lever i Glæde og Fornøjelse, s. 100og da vilde mit Brev forstyrre ham deri. Ich aber habe sie dringend gebeten, Dir den Brief zu schiken, weil ich glaubte er sey Dir zum Heile Deiner Seele sehr heilsam. Eine so zarte Schonung wäre hier in der That unrecht angebracht; wodurch hast Du sie wohl verdient? wie leicht wäre es Dir doch gewesen, bey Uebersendung der Taubischen Briefe die Paar Worte zu schreiben: Liebe Mutter ich weiss oder ich vermuthe dass Taubes Dich bitten werden mich länger hier zu lassen, ich habe an dieser Bitte keinen Theil, und werde mich zu der oder der Zeit zu Hause einfinden. Hättest Du so geschrieben, so hättest. Du Deiner Mutter eine grosse Unruhe und manche schlaflose Nacht erspart. Statt dessen aber steht in dem Briefe nichts, als: ich habe zum Schreiben keine Zeit. Dieses Keine Zeithaben ist (Du magst mir es nicht übel nehmen) eine kahle Entschuldigung, welche man gegen eine so zärtlich liebende Mutter nie gebrauchen sollte. Ich will es wohl glauben, dass Du am Tage Beschäftigung genug hast; aber was verhindert Dich Morgens früh, oder Abends spät zu schreiben? bricht doch Deine kränkliche Mutter ihrem Schlafe so manche Stunde ab, um ihrem Sohne ein Zeichen ihrer Liebe zu senden: warum solltest Du kerngesunder Junge nicht können dasselbe thun, wenn nur Dein Herz es Dir geböte? Sed hinc illæ Jacrimæ, Du hast zwar Deine Mutter recht lieb, aber Deine Liebe ist nicht jene milde ewig lebendige Flamme, welche als fortwährende innige Theilnahme an dem Wohl und Weh des geliebten Gegenstandes, als emziges Ausspähen der verborgenen Wünsche desselben, und liebreiches Zuvorkommen dieser Wünsche; als gänzliches Vergessen der eignen Persönlichkeit sich äussert. Eine solche Liebe ist der ewigen, nimmer erlöschenden Flamme im Tempel der Vesta zu vergleichem. Eine jede andre Liebe hingegen ist nicht viel besser als eine gewöhnliche Tranlampe, welche zwar bisweilen recht hell brennen kann, bald aber vom Winde verlöscht wird, wo es dann so lange dunkel bleibt, bis es einem vom Schlafe erwachten, vierschrötigen Wächter einfällt, sie wieder anzuzünden. Ein solcher Wächter ist bey Dir die Phantasie, daher herrscht in Deinen poetischen Erzeugnissen eine Wärme, von der im täglichen Leben bey Dir nicht viel zu merken ist. Möchte es doch also, da Du Deine Natur s. 101nun einmal nicht ändern kannst, der Phantasie gefallen, mehr als bisher im gewöhnlichen Leben bey Dir thätig zu seyn, die Wirklichkeit mit ihrem Strahlengewande zu bekleiden, und auf diese Weise Dein etwas kaltes Herz zu erwärmen. Ich hätte zwar über diesen Gegenstand wohl noch manches auf dem Herzen, doch nicht alles lässt sich schreiben, was sich sagen lässt; so verspare ich denn das übrige bis zu Deiner Zurük-kunft; von welcher ich zwar wünschte, sie möchte zum 14. Dec, von der ich aber gewiss hoffe, sie werde innerhalb des 24. Dec. erfolgen. Lebe wohl. Ich bin wie immer

Dein wahrer Freund
C. E. F. Weyse.