Steffens, Henrik BREV TIL: Mynster, Jakob Peter FRA: Steffens, Henrik (1828-12-21)

Fra Steffens.
Breslau, den 21. Decbr. 1828.

Lieber Mynster! Nach einer so langen Unterbrechung unseres Briefwechsels komme ich nun wieder zu dir. Heute fangen meine Weihnachtsferien an, das Jahr nähert sich seinem Schlut, und die Zeit rückt an, in welcher ich mich zu bekehren pflege — da soll das erste Zeichen meiner Bekehrung sehn, dat ich mich an dich wende, den stillen Bund erneuere, der, frühzeitiger als alle andere gegründet, ein geheimes wechselseitiges Verständnit eben über daö Heiligste schuf, und durch allen Wechsel des Lebens unterhielt. Irre ich mich nicht, so verstehen wir uns beter, als die Meisten in dieser verworrenen Zeit.

s. 385Ein Beweis dafür waren deine gesammelten Aufsäe *) mir, die Middeldorph seit sehr langer Zeit in seinen Händen hat und noch immer nicht abliefern will. Auch er schäte sie sehr hoch und wollte eine Kritik in der Halleschen Literaturzeitung liefern. Aber es wird wohl nichts daraus. Diese Leute stecken zu tief in ihren bestimmten Streitigkeiten, in Untersuchungen, die, mögen sie gelehrt seyn, doch jene Unbefangenheit entbehren, die einen freien Blick über einen jeden Fortschritt und über den individuellen Werth fremder Bemühungen erlauben. Alles ist in tollem Zwiespalt zertrennt, und Jeder hat sich mit den Übrigen Verbiten. Wie es thöricht seyn würde in einer Gesellschaft die Aufmerksamkeit für eine ruhige Darstellung zu erwarten, wenn ein wildes Gezänke die versammelten Gäste in unruhige Bewegung geset hat: so darf auch in der Literatur unserer Tage nichts, was nicht an dem chaotischen Treiben Theil nimmt, auf dauernde Beachtung Anspruch machen. Was mich am meisten geärgert hat, ist die völlige Unfähigkeit der Leute dasjenige zu faten, was mir als der schönste Vorzug, besonders deiner literarisch - geschichtlichen Untersuchungen, ansprach, die deutlichen Spuren eines gründlichen Studium der Lessingschen Schriften: jene anmuthige, geistreiche Leichtigkeit geschichtlicher und literarischer Combinationen, die, indem sie die Aufmerksamkeit spannt und festhält, zugleich die lebendige Einheit überall durchblicken, und schon im Anfange den Schlut ahnden lätt; jene Durchsichtigkeit der Darstellung, die ich wahre Popularität im vornehmsten Sinne nennen möchte, die aus der völligen Gewalt des Schriftstellers über seinen Gegenstand nothwendig entspringt. Wie dieser Vorzug in den gewöhnlichen Schriften unserer Tage vermitt wird, so scheint selbst der Sinn dafür verschwunden.

Du bist — ich glaube schon seit längerer Zeit — Confessionarius — und ich glaube, dat die Stellung, besonders s. 386bey dem religiösen Sinn der Königinn, dir lieb seyn wird. Ich hoffe bald mehr von dir zn erfahren. —

Ich glaube, ich habe dir nicht geschrieben, seit ich Novellendichter wurde. Dir wird es klar seyn, dat ich mein eigenes Leben darstellte, nur von den Schlacken der Wirklichkeit befreiet, dat ich lieber die gereinigte Wahrheit hinter einer absichtlichen Dichtung verbergen wollte, als jene hervorgebend mich selbst, durch alle Windungen unvermeidlicher Selbsttäuschung, in einem verzerrten, verunstalteten Bilde darstellen. Ich bin dadurch Mode geworden, besonders bey den Frauen — die wichtigsten Buchhändler bieten sich mir als Verleger an; ich kann hoffen, Schriften, an welche ich seit zwanzig Jahren arbeite, auf eine vortheilhafte Weise in das Publicum zu bringen, und bald werden, hoff' ich, alle meine Schulden getilgt sehn. Es ist mir seltsam zu Muthe, indem ich diese Hoffnung ausspreche; denn seit meiner frühen Jugend war ich nie schuldenfrey, und ich halte Schulden für die gefährlichste irdische Schuld. — —