Steffens, Henrik BREV TIL: Mynster, Jakob Peter FRA: Steffens, Henrik (1823-05-01)

Fra Steffens.
Breslau, d. 1sten May 1823.

Lieber Mynster! Ohne allen Zweifel wirst du dich wundern, nach so unbegreiflich langer Zeit einen Brief von mir zu bekommen. Sey nicht böse, dat ich dir deutsch schreibe. Ich habe meine Muttersprache keinesweges vergeten; aber, wenn ich schnell, wie ich denke, schreiben will, ist mir das Deutsche natürlicherweise geläufiger.

Es ist nun lange, sehr lange, seit ich etwas Ausführliches aus meinem lieben Vaterlande erfuhr. Je älter ich werde — ich bin Morgen 50 Jahre alt und meine Haare sind grau — desto lebhafter erwacht die Sehnsucht nach dem Lande meiner Jugend — „Nr. 8" **), lieber Job, ist mir unvergetlich. Ja, soll ich dir\'s gestehen, fast krankhaft ist die lebendige Sehnsucht, nach Kopenhagen zu reisen, euch, ihr Lieben, Theuren, die noch übrig geblieben sind, noch einmahl zu sehen, euch zu sprechen, zu umarmen. Auch ist mein fester Vorsat$$*, wenn Gott mich s. 86noch ein Paar Jahre leben lätt, auf einen Sommer Urlaub zu nehmen, und über Stettin nach Kopenhagen zu reisen.

Lieber, treuer Freund! obgleich ich nun seit 16 Jahren Weniges von deiner Lage, und immer nur mittelbar, erfuhr, nichts schrieb, habe ich dennoch die lebendigste Gewitheit festgehalten, dat du mich fortdauernd liebtest. Ja, ich habe dir geschrieben, für dich geschrieben, denn ich wollte dir die Stellen meiner Schriften zeigen, die aus einem wahren Gespräch mit dir entstanden sind. — Ich bin leider noch wie immer, und ich glaube kaum, dat du mich sehr verändert finden würdest. Fortdauernd heftig aufgeregt — innerlich in beständiger Rührung, ja Erschütterung — ganz von der Gegenwart ergriffen — alle Fehler sind feststehende Typen geworden. Ob es Menschen giebt, die aus eigener Kraft sich anders zu gestalten vermögen, das weit ich nicht, dieses aber wohl, dat ich mich nicht unter diesen rechnen darf.— So nun immer in die gährende Mitte einer groten Bewegung hineingeriten, blieb mir selten die Freiheit, mich nach der Ferne thätig zu wenden. Die Sehnsucht war da, war mächtig, aber ich vermochte Nichts gegen die Kraft der eindringenden, geistigen wie äuterlichen, Ereignisse.

Ist es eine Ermüdung nach einem mühevollen Kampf nach allen Richtungen, ist es das Alter, welches sich meldet und mächtig wird, oder ist es das tiefe Gefühl, dat ich einsam stehe unter den Brüdern, seit der le$$*te, mir der liebste, mein innigster Freund wie mein Bruder *), die Erde verliet —was mich gewaltsam nach der alten Heimath hindrängt, als wollte ich mit alter Anstrengung noch um mich versammeln, was Gott mir übrig liet, als wollte ich, indem ich die alten Töne wieder vernehme, den Wiederhall der auf ewig Verstummten ebenfalls erkennen?

Ich schicke dir mit diesem Brief eine kleine Schrift **), die eben in diesem Augenblick die Presse verlaten hat. Sie s. 87kann dir vielleicht dadurch interessant werden, dat sie, in Verbindung mit der Schrift über die gegenwärtige Zeit, den „Carricaturen des Heiligen" und der Anthropologie, meine innere Geschichte enthält. Zwar, indem ich sie lese, finde ich sie unendlich kalt, unbedeutend, kaum eine Spur von dem, was ich sagen wollte. ES ist ein Kampf gegen einen theuren Freund, von welchem ich auch durch andere Streitigkeiten getrennt wurde, ohne dat er je aufhören soll mein Freund zu seyn — gegen Schleiermacher. Ich fand diesen Kampf sehr nothwendig. Die Angriffe gegen.Scheibel, von welchem in der Vorrede die Rede ist, gingen aber nicht von Schleiermacher aus, sondern von dem hiesigen Consistorio und einem Prof. Schulz. So gering nun auch die Schrift seyn mag — du wirst das nur schwach Angedeutete verstehen, und ich würde mich freuen, wenn du diesen Kampf gegen die gefährlich gesteigerte, und bis zur höchsten Speculation ausgebildete Subjectivität des christlichen Glaubens billigen solltest.

— Ihr habt mich — ich glaube, es sind schon ein Paar Jahre her — zum Mitglied der Academie der Wissenschaften ernannt. Ich weit es, du und der brave Sibbern waren die Hauptpersonen dabey. Ich erfuhr es durch einen Brief von dem Le$$*teren, den ich (es ist freylich stark) noch nicht beantwortet habe. Die Ges$$llschaft findet sich wohl durch mein hartnäckiges Stillschweigen beleidigt, sie sieht es wohl als eine Geringschä$$*ung an — und dennoch ist Nichts gewisser, als dat diese Wahl mir im höchsten Grade wohlthuend war, dat ich darin eine Art Triumph erkannte, die mich aufs Höchste erfreute. Fast schäme ich mich dich zu bitten, diese späte Aeuterung meines Dankes noch laut werden zu lassen. —

Oft komme ich mir, in diesen le$$*ten Tagen, als ein Einsamer vor, der eben aus einem groten, verworrenen Gewühl, in welchem er fortdauernd thätig sehn mutte, heraus kam. Auch hatte das Schicksal der Universitäten, das Unglück so vieler jungen Männer, welches sich immer drohender näherte, meine Stellung, zuerst durch mein Verhältnit zur Regierung, s. 88dann eben in der allergefährlichsten Epoche als Rector, noch zule$$*t als Exrector, aber als derjenige, der mit diesen verworrenen Sachen am meisten bekannt war — meine Thätigkeit fast krampfhaft in Anspruch genommen *).

Aber ich sehne mich nach Ruhe. — Der redliche Mann kann sich — zwischen demagogischen und monarchischen Umtrieben — nur zerdrücken lassen; und oft ist es mir, als wenn der Wahnsinn das Geschlecht immer mächtiger ergreift, und es ist, als wollte der Fanatismus aller Zeiten und aller Arten einer jeden Zeit zugleich mit voller Gewalt losbrechen. Gott behüte uns!

Aeuterlich ist freilich hier Alles still, während die drohenden Gewitterwolken aus der Ferne hervorbrechen —

In meinem Hause lebe ich ruhig und glücklich. Meine Frau ist mir theuer — meine Tochter — Clara — ist schon 17 Jahr alt, und ich danke Gott dafür, er wird sie ferner leiten — sie hat, so lange sie lebt, mir nur Freude gegeben, nicht eine trübe Stunde. Wenn ich ihre stille, ruhige, jungfräuliche Weise, ihr ganzes anspruchloses Wesen betrachte, und es mit meinem wild bewegten, stürmischen Leben vergleiche, dann ergreift mich unwillkürlich eine unendliche Wehmuth; es ist mir, als wäre sie dazu da, um zu versöhnen, was mein Eifer, wenn auch wohlmeinend, zerstörte, und es scheint mir, als verdiente ich das Glück nicht. In wenigen Tagen wird sie — nach einem 5jährigen fortdauernden Religionsunterricht — eingesegnet, und ich werde das Abendmahl mit ihr genieten. Der Augenblick steht vor mir wie ein Durchgangspunkt für mein ganzes Leben, wie ein groter, unergründlicher Reinigungsprocet, dem ich mich mit Zagen und Freude, zitternd und hoffend unterwerfe!

Auch mein Brudersohn ist ein sehr guter Knabe, und ich hoffe das Beste von ihm. — Ein Unglück ist, dat ich gar nicht lernen kann mit Geld umzugehen. Du irrst dich aber, wenn s. 89du glaubst, dat ich verschwende; ich lebe äuterst eingezogen — die lärmende Gesellschaft ist mir zuwider. Nur zweimahl wöchentlich versammeln sich Studierende, wenn sie an einem Gespräch, wie es bey uns herrscht, theilzunehmen verstehen, zum Thee bey mir. Ich könnte diese Erheiterung — auch reisende Gelehrte und Andere finden sich oft ein — nicht wohl entbehren.

— Nun hast du einen langen Brief— und einen gedruckten, noch längern, bey welchem ich sehr oft an dich dachte — von mir, und ich erwarte nun auch einen wenigstens eben so langen von dir. Es wäre hart, wenn du nicht antworten wolltest, lieber Job! Seitdem die Sehnsucht nach meinem Vaterlande so lebhaft in mir erwacht ist, bin ich in der That hier drauten, als wenn ich eben seit einigen Monaten Kopenhagen verlaten hätte, und stündlich mit Ungeduld auf Nachricht von meiner lieben Heimath wartete.

Wie du lebst, und deine Frau, und wie viele Kinder du hast, und wie Alles in dem alten Kopenhagen steht — wünsche ich zu witen — Auch, wenn du magst, etwas von deinem innern Leben, und ob wir uns geistig nahe stehen, oder ob die Fluthen der geistig bewegten Zeit auch uns von einander entfernt haben. Ich glaube, — nein, lieber Freund! ich weit es gewit: Du kennst Ihn, der der Weg ist und die Wahrheit und das Leben — du warst nie so von Ihm entfernt, wie ich es war —

Dann von den Freunden — Wie erschrack ich, als ich — erst sehr spät, erst nach einem Vierteljahr aus der Zeitung erfuhr, dat dein Vater *) — mein lieber, treuer, redlicher Wohlthäter — gestorben war — Ich fühlte mein Unrecht, und dennoch war die Zeit nicht gekommen, die mich mit euch wieder in Verbindung bringen sollte — Ist sie je$$*t da? Kann das lange zerrissene Band wieder angeknüpft werden? Oder kam ich zu spät zur Besinnung?

s. 90Oluf *) war schon lange Professor — mein Gott! ich verliet ihn, als er noch ein Knabe war. Von Allem, von dem Literarischen, von Oehlenschläger etc. etc. wirst du wenigstens Etwas schreiben müten. — Dein Schwiegervater war vor einigen Jahren in Deutschland; aber nach dieser polnischen Ecke kommt kein Mensch. —

Behalte mich lieb — lieber Freund!
Dein treuer
Steffens **).